Vererben Sie ein Stück Zukunft_EN
Rund 90 Milliarden Schweizer Franken wurden im Jahr 2022 in der Schweiz vererbt. Dies entspricht 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Diese Summe hat sich in den letzten Jahren fast verfünffacht. Wer mit seinem Vermögen auch nach dem Tod etwas aktiv bewirken will, sollte sich zu Lebzeiten Gedanken machen, rät der Erbschafts- und Steuerexperte Dr. iur. Marc’Antonio Iten aus Zürich.
Herr Iten, wieso soll jemand ein Testament erstellen, es gibt doch das Erbrecht?
Das ist eine spannende Frage. Niemand ist verpflichtet ein Testament zu machen. Damit Sie diese Frage individuell für sich beantworten können, sollten Sie sich vorgängig über einige Punkte klar werden. Erstens: was geschieht mit meinem Nachlass, wenn ich nichts regle? Hierüber gibt das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) Antwort, falls die Person ihren Wohnsitz in der Schweiz hat und hier verstirbt. Zweitens: passt diese Regelung für mich und bin ich damit einverstanden? Falls ja, müssen Sie grundsätzlich nichts weiter unternehmen. Falls nein, dann erstellen Sie ein Testament. Mit einem Testament können Sie die gesetzliche Erbfolge ändern und durch Ihre eigene Regelung ergänzen oder ersetzen.
Welches Vorgehen raten Sie? Worauf muss man bei einem Testament achten?
Schenken Sie den Formvorschriften des Erbrechts unbedingt die nötige Beachtung. So gibt es zum einen das handschriftliche Testament, versehen mit Ort, Datum und Unterschrift. Falls Sie kein eigenhändiges Testament niederschreiben möchten, sollten Sie einen Notar beiziehen und von diesem ein notarielles Testament aufsetzen lassen. Die anschliessende öffentliche Beurkundung erfolgt im Beisein von zwei Zeugen. Beide Varianten sind im Grundsatz gleichwertig. Für das handschriftliche Testament gibt es im Internet zahlreiche Vorlagen. Diese sollten nicht leichtfertig übernommen werden. Ziehen Sie im Zweifelsfall besser eine Fachperson bei. Wichtig ist auch, dass Ihr Testament im entscheidenden Moment von der richtigen Person gefunden wird. Sonst besteht die Gefahr, dass Ihr Testament nicht dort landet, wo es hingehört. Man kann ein Testament z. B. bei einem Notar oder Willensvollstrecker hinterlegen. Bewahren Sie es bitte nicht im Banksafe auf, weil dieser nach dem Tod nur mit dem Erbschein geöffnet werden kann.
Macht es nur Sinn, ein Testament zu erstellen, wenn man reich ist?
Man sollte sich in jedem Fall fragen, was mit seinem Vermögen nach dem Tod geschieht. Ein Testament drängt sich immer dann auf, wenn man nicht möchte, dass die gesetzliche Erbfolge zum Tragen kommt, und zwar unabhängig von der Höhe des Vermögens.
Ich hatte beispielsweise eine kinderlose, unverheiratete Klientin ohne Eltern, die nicht sehr vermögend war. Sie hat jedes Jahr an gemeinnützige Organisationen gespendet und sie wollte diese auch nach ihrem Tod begünstigen. Sie hatte nicht vor, ihr Vermögen ihren Verwandten zu hinterlassen, weil sich diese nicht um sie kümmerten. Dennoch kam sie nicht dazu, ein Testament aufzusetzen. Sie starb ohne Testament. Es wurden 27 gesetzliche Erbende gefunden und ein grosser Teil ihres Erbes floss allein in die komplizierte Verteilung. Das ist schon irgendwie schade.
Anfang 2023 ist das neue Erbrecht in Kraft getreten. Muss man sein Testament nun anpassen?
Bestehende Testamente bleiben auch nach dem 1.1.2023 gültig. Ich empfehle, dass man sein Testament heute dennoch überprüft und sich überlegt, ob Handlungsbedarf besteht. Denn einige Formulierungen, die in älteren Testamenten häufig verwendet wurden, können in Zukunft Fragen aufwerfen und zu Streit führen. Man kann Erbstreitigkeiten vermeiden, indem man sein Testament klar und unmissverständlich abfasst. Massgeblich dafür, ob das neue oder das alte Erbrecht gilt, ist das Todesdatum und nicht das Datum, an dem das Testament erstellt wurde. Das neue Erbrecht erfasst alle Nachlässe, bei denen die Erblassenden nach dem 31.12.2022 gestorben sind. Mit dem neuen Erbrecht ist die frei verfügbare Quote grösser geworden, was bedeutet, dass man heute auch gemeinnützige Organisationen stärker begünstigen kann. Grundsätzlich empfehle ich, ein Testament alle fünf Jahre zu überprüfen und falls nötig anzupassen.
Wie oft passiert es, dass Menschen im Testament gemeinnützige Organisationen berücksichtigen?
Gerade bei alleinstehenden Menschen kommt das häufig vor. Oft werden neben Angehörigen auch Institutionen begünstigt. Aber auch verheiratete Erblasser und auch solche mit Kindern begünstigen in ihrem Testament gemeinnützige Organisationen.
Bitte erklären Sie uns noch den Unterschied zwischen einem Legat und einer Erbschaft.
Ein Legat – auch Vermächtnis genannt – wird in einem Testament verfügt und ist so etwas wie eine Schenkung nach dem Tod. Dabei wird ein bestimmter Betrag oder eine bestimmte Quote vom Nachlass an eine oder mehrere ausgewählte Organisationen zugewendet. Demgegenüber ist jemand Erbe oder Erbin, der oder die auf dem Erbschein steht, für die Schulden des Nachlasses haftet und den Erbteilungsvertrag mitunterzeichnet.
Was sind die Beweggründe, weshalb Leute eine gemeinnützige Institution berücksichtigen?
Einerseits – und das ist erfreulich – werden wir Menschen immer älter. Das führt dazu, dass die meisten Kinder heute bereits selbst Pensionär:innen sind, wenn sie erben. Deshalb entscheiden sich einige Eltern, ihren Kindern wegen ihrem eigenen Alter zwar weiterhin einen Teil zu vermachen, aber eben nicht mehr so viel. Wir hören oft, dass vermögende Menschen der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen. Gerade in der krisengeprägten Zeit, in der wir heute Leben, beobachte ich, wie wichtig dies vielen Menschen ist. Vermögende Personen sagen oft, dass sie ein privilegiertes Leben führen durften und ihren Kindern gute Ausbildungen ermöglicht haben, weshalb sie nach ihrem Tod einen sinnstiftenden Beitrag an die Gesellschaft leisten wollen. In meiner Tätigkeit als Willensvollstrecker habe ich regelmässig mit gemeinnützigen Institutionen zu tun. Gerade wenn kleinere und mittelgrosse Organisationen ein Legat erhalten, ist es berührend zu sehen, wie gross die Freude ist, wenn Menschen unerwartet Solidarität erfahren. Vielleicht kann gerade durch ein Legat ein weiteres soziales Projekt realisiert oder ein bestehendes sinnvoll erweitert werden.
Wohin führt der Trend in Bezug auf Legate?
Was wir grundsätzlich beobachten, ist, dass viele Menschen regelmässig spenden oder stiften. Das ist für viele auch steuerlich interessant, weil solche Zuwendungen regelmässig abzugsfähig sind. Viele Menschen kommen also bereits zu Lebzeiten mit gemeinnützigen Organisationen vermehrt in Berührung und lernen diese kennen. Oft werden solche Organisationen später auch im Testament begünstigt.
Was würden Sie einer Person raten, die eine wohltätige Institution berücksichtigen möchte?
Mein erster Tipp: Begünstigen Sie gemeinnützige Institutionen eher mit einem Legat als mit einer Erbeinsetzung. Zweitens: Anstelle eines fixen Betrags, kann das Vermächtnis auch über einen Prozentsatz vom Nachlass definiert werden. Dies weil sich die Grösse eines Vermögens im Laufe der Zeit verändert. Ein prozentualer Betrag wird dieser Schwankung gerecht. Drittens: Formulieren Sie Ihr Quotenlegat sorgfältig, damit es später nicht als Erbeinsetzung aufgefasst wird. Viertens: Ich empfehle Ihnen den Beizug einer Fachperson.