1000 Tage für die Zukunft
Die ersten fünf Lebensjahre sind entscheidend, um die Basis für ein gesundes Leben zu legen. In den entlegenen Regionen von Lesotho ist dies vielen Kindern nicht vergönnt. Auch nicht Siyabonga. Doch er wird im Rahmen eines neuen SolidarMed-Projekts unterstützt.
6,2 Kilo. So viel wog Siyabonga, als er eineinhalbjährig war. Ein gesunder, durchschnittlich entwickelter Bub wiegt 11,5 Kilo. Der Umfang seines Oberarms betrug nur zehn Zentimeter, drei Zentimeter mehr sollten es mindestens sein. Sein Entwicklungsrückstand ist das Resultat akuter Mangelernährung, deren Ursachen Ernährungsunsicherheit und Armut sind. Diese Entwicklungsverzögerung kann weitreichende Konsequenzen für sein Leben haben. Denn gerade die ersten 1000 Tage der frühkindlichen Entwicklung (Early Childhood Development, ECD) sind entscheidend, und Verpasstes kann oft nicht aufgeholt werden.
Die Familie von Siyabonga lebt in Mapholaneng im Distrikt Mokhotlong auf über 2000 Metern über Meer im Nordosten von Lesotho. Die karge Landschaft um das Haus der Familie ist unfruchtbar und sie müssen weite Wege auf sich nehmen, um Trinkwasser zu holen. Das Dorf liegt so abgelegen, dass die Bevölkerung viele Kilometer zu Fuss oder auf dem Pferd zurücklegen muss, um zur nächsten Gesundheitseinrichtung zu gelangen. Die Menschen hier kämpfen gleich mit mehreren Schwierigkeiten. Die Arbeitslosigkeitsrate im kleinen Land, das nur etwa 2 Millionen Einwohner:innen zählt, beträgt 25 Prozent. Selbstversorgung ist für die meisten keine Alternative, da nur 12 Prozent der Fläche bewirtschaftet werden kann – in der Schweiz sind es dreimal so viel.
Liebevolle Betreuung entscheidend
Auch die Gesundheit der Bevölkerung ist eine Herausforderung. So leiden laut der nationalen Statistik jährlich 2500 Kinder an den Folgen von Mangelernährung, 500 dieser Kinder sind schwer mangelernährt. Bei jedem dritten Kind verzögert sich das Wachstum. Zudem kämpft die Region mit einer hohen Sterblichkeit von unter Fünfjährigen: Ein von neun Kindern stirbt, bevor es fünf Jahre alt ist. Die Nahrungsmittelknappheit in Lesotho ist der Gesundheitssituation der Kleinkinder auch nicht zuträglich. Die Anzahl Kinder unter fünf Jahren, die mit Blutarmut oder geringer Körpergrösse konfrontiert sind, schiesst in die Höhe. Hinzu kommt, dass 40 Prozent der Kinder unter sechs Monaten aus verschiedenen Gründen nicht gestillt werden und nur jedes zehnte Kind vielseitig genug isst, damit es gesund wachsen kann.
Die Betreuung der Kinder – wichtig für ihre Entwicklung – ist oft schwer zu organisieren: Ein Viertel der Erwachsenen leidet beispielsweise an HIV, die zweithöchste HIV-Verbreitung der Welt. Die Krankheit trifft sehr oft die produktive Altersgruppe, was viele Kinder als Waisen hinterlässt. Von den 100 000 HIV-Waisen in Lesotho leben 18 000 im Hochland.
Siyabonga ist nicht Waise. Seine Mutter Nolast ist 39 Jahre alt. Sie hat mit Siyabongas Vater fünf Kinder, doch die Familie lebt verzettelt. Die älteste Tochter ist bereits verheiratet und wohnt mit ihrem Mann zusammen. Die zwei Söhne im Teenageralter sind bei den Schwestern von Nolast untergekommen, weil sie dort zur Schule gehen. Nur die Jugendliche Boniswa und der kleine Siyabonga sind mit Nolast in der bescheidenen Hütte der Familie zuhause. Vier weitere Kinder hat Nolast bereits verloren. «Der Vater der Kinder lebt nicht bei uns. Er arbeitet in Südafrika, wo er sich um das Vieh der Bauern kümmert», erzählt Nolast.
Doch das Geld reicht trotzdem nicht, um die Familie zu ernähren. «Ich habe meist selbstgebrautes Bier verkauft, um dazuzuverdienen. Doch auch das war nicht genug», berichtet Nolast, die deshalb ihre Kinder bei ihrer Schwester zurückgelassen hat und eine Arbeit in Südafrika annahm. Viele Eltern in dieser Gegend müssen ihre Kinder bei Verwandten oder älteren Geschwistern lassen, um im benachbarten Südafrika arbeiten zu können. Oft führt das dazu, dass die Kinder keine genügende vorschulische Förderung erhalten.
Frühkindliche Entwicklung in Lesotho
Am Donnerstag, 5. Dezember, können Sie ab 17 Uhr am Webinar «Frühkindliche Entwicklung in Lesotho» (in Deutsch) unter anderem von Pauline Grimm, Programmverantwortliche Lesotho, erfahren, was SolidarMed im kleinen Bergstaat unternimmt, um die frühkindliche Entwicklung
zu fördern. Denn was verpasst wird, kann oft lebenslange Konsequenzen haben.
Melden Sie sich gleich an, wir freuen uns auf Sie!
Nach vier Monaten war Nolast zurück. Inzwischen ging es Siyabonga gesundheitlich nicht gut. «Als er bei mir lebte, bestand seine Ernährung meist aus Eiern, getrockneten Bohnen, Erbsen und Papa – eine Art Maisbrei. «Sein Zustand verschlechterte sich bei meiner Schwester», berichtet die Mutter. Als den medizinischen Fachleuten in der mobilen Klinik von SolidarMed die schwere, akute Mangelernährung von Siyabonga auffiel, wurde er direkt an die Mitarbeitenden des neuen SolidarMed-ECD-Projekts verwiesen. Das Projekt-team sorgte für Siyabongas Hospitalisierung. «Er hatte geschwollene Arme und Beine, keinen Appetit und war sehr reizbar», beschreibt Sibongile Mpeka, Siyabongas Pflegefachfrau in der Kinderabteilung im Spital Mokhotlong, seinen damaligen Zustand.
In der Regel erhalten Kinder wie Siyabonga ein spezielles Ernährungsprodukt zur Behandlung schwerer akuter Mangelernährung. «Es handelt sich um eine protein- und kalorienreiche Formel, die Kindern helfen soll, wieder an Gewicht zuzunehmen und ihren allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern», erklärt Sibongile Mpeka, die auch Weiterbildungen von SolidarMed besucht hat. Diese Formel werde normalerweise in klinischen Einrichtungen unter ärztlicher Aufsicht verabreicht. «Während Siyabongas Aufenthalt im Spital hatten wir keine Fertignahrung zur Verfügung, aber wir konnten unsere eigene herstellen», weiss sie.
Inzwischen ist Siyabonga wieder zuhause bei seiner Mutter. «Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und die Pflege, die er von den medizinischen Fachkräften und Organisationen wie Touching Tiny Lives und SolidarMed erhalten hat. Ich werde weiter die Ratschläge der Gesundheitsfachleute bezüglich seiner Ernährung befolgen, um sicherzustellen, dass er gesund und stark bleibt. Und ich werde darauf achten, die Empfehlungen zur frühkindlichen Entwicklung zu beachten, und ihm eine unterstützende Umgebung zum Lernen und Wachsen bieten», betont Nolast. Siyabonga scheint einverstanden, denn das Kind klatscht begeistert und lacht.
Ob Siyabonga seinen holprigen Start ins Leben wieder wettmachen kann, wird sich zeigen. Denn bei seiner Entlassung aus dem Spital konnte er nicht wie andere Kinder in seinem Alter laufen, sondern erst krabbeln. Mit Unterstützung von SolidarMed und Touching Tiny Lives (TTL)wird er nun dorfbasiert bis zu seinem fünften Lebensjahr in seiner Entwicklung mit Nahrungsergänzung gefördert – wenn nötig. «So stellen wir sicher, dass er sich vollständig erholt, eingeschult wird und nicht zurückfällt», erläutert Laetitia Tanka, ECD-Koordinatorin von SolidarMed in Mokhotlong.