Ganzheitliche Stärkung des Gesundheitssystems in Sambia
In enger Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium verbessert SolidarMed in Sambia die Ausbildung von Pflegepersonal und klinischen Ärzt:innen und macht mit der Schaffung von Wohnraum die Arbeit auch auf dem Land attraktiver.
Es ist ein aussergewöhnlicher Tag für das SolidarMed-Team in Sambia. Vor dem frisch erstellten Ausbildungszentrum in Kafue steigt Sylvia Masebo, die Gesundheitsministerin von Sambia, aus dem Auto und schüttelt mit grosser Freude SolidarMeds Landeskoordinator John Tierney die Hand. Der Chor der Pflegefachkräfte singt und tanzt ihren Willkommenssong.
«Die Eröffnung des ersten multidisziplinären Ausbildungszentrums in Sambia erfüllt uns mit Stolz und grosser Freude», sagt John Tierney zur Begrüssung. Ministerin Sylvia Masebo durchschneidet das rote Band und übergibt das Gebäude offiziell dem Distriktspital und der Pflegefachschule in Kafue zur Ausbildung von Studierenden und klinischem Personal.
Seit über einem Jahr hat Projektleiter Petros Andreadis zusammen mit einem Team von Ausbildner:innen am Kafue-Distriktspital und Spezialist:innen von SolidarMed das Gebäude geplant und gebaut. Entstanden ist eine über 200 m2 grosse Halle mit mehr als 20 unterschiedlichen Übungsstationen zu klinischen Situationen in der Geburtshilfe, der Pädiatrie, der Notfallmedizin, der Pflege oder der Chirurgie. Hier sollen die Fachleute aus den unterschiedlichen Gesundheitsberufen ihre Zusammenarbeit üben. «Gesundheitsversorgung am Krankenbett ist wie ein Teamsport», sagt Andreadis. «Geübte Zusammenarbeit zwischen den
unterschiedlichen Gesundheitsberufen verbessert die Versorgung der Patient:innen.»
Medizin ist Teamarbeit
Kurz nach der offiziellen Eröffnung übt die 22-jährige Queen Musonda an einer Station in konzentrierter Miene das Nähen einer klaffenden Wunde. Sie ist auf dem Berufsweg zur sogenannten «Medical Licentiate» an der Levy Mwanawasa Medical University in Lusaka. Hier in Kafue absolviert sie einen klinischen Ausbildungsteil auf der Kinderabteilung des Spitals. Stich für Stich zieht Queen Musonda Nadel und Faden quer zu der etwa 4 cm langen Schnittverletzung am Arm der Übungspuppe. Eine Pflegefachfrau und eine Ausbildungskollegin unterstützen die junge Studentin beim Eingriff. Nebst dem exakten Nähen geht es in dieser Übung auch um die gemeinsamen Abläufe im Team und die gegenseitige Kommunikation während des Eingriffs. Ein Ausbildner korrigiert und zeigt, wie sie und das Team sich weiter verbessern können.
«Die Eröffnung des ersten multidisziplinären Ausbildungszentrums in Sambia erfüllt uns mit Stolz und grosser Freude.»
«Bevor wir unsere Eingriffe an echten Patienten:innen durchführen, können wir hier an Puppen zusammen mit dem Pflegepersonal oder den Ärzt:innen unsere Fertigkeiten üben. Das gibt uns Sicherheit und für die Kinder auf der Pädiatrie letztlich eine bessere Behandlungsqualität», sagt Queen Musonda.
Fehlendes Gesundheitspersonal
Die Herausforderungen in Sambias Gesundheitssystem sind enorm. Die Gesundheitsversorgung müsse sich rasch transformieren, um der Last steigender Patient:innenzahlen standhalten zu können, sagt Landeskoordinator John Tierney.
Dieses multidisziplinäre Ausbildungszentrum in Kafue und drei weitere für 2023 geplante Zentren in Kabwe, Chipata und Solwezi stehen stellvertretend für den Weg, den SolidarMed über die letzten 15 Jahre in Sambia gegangen ist. In enger Zusammenarbeit mit den Ministerien für Gesundheit und Erziehung und dank finanzieller Unterstützung durch den Liechtensteinischen Entwicklungsdienst und der Hilti Foundation hat SolidarMed neue Ausbildungskonzepte entwickelt, um die Anzahl Absolvent:innen und die Ausbildungsqualität von Pflegefachkräften und «Medical Licentiates» stetig zu steigern. In den neuen Ausbildungszentren soll nun auch die klinische Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen weiter geschult und gefördert werden.
«Gesundheitsversorgung am Krankenbett ist wie ein Teamsport.»
Die Bevölkerung Sambias wächst um jährlich etwa eine halbe Million Menschen. Die Entwicklung des Gesundheitswesens hinkt diesem rasanten Bevölkerungswachstum stetig hinterher. Verglichen mit den Empfehlungen der WHO fehlen über 30 Prozent des notwendigen Gesundheitspersonals und in ländlichen Gebieten noch deutlich mehr.
Stärkung der Gesundheitsberufe in Sambia
An der St. Lukes-Pflegefachschule in Mpanshya beschritt SolidarMed im Bereich der Ausbildung von Pflegepersonal neue Wege. Früher konnten Pfleger:innen in Ausbildung nur am direkt assoziierten Spital klinische Erfahrung am Krankenbett gewinnen. Seit Einführung eines dezentralen Ausbildungsmodells rotieren die Auszubildenden während mehreren Monaten zwischen unterschiedlichen Spitälern.
Davon profitieren die Studierenden, indem sie mehr medizinische Fälle kennen lernen. «Hier im ländlichen Chongwe-Spital gibt es viele Patient:innen mit Malaria», erzählt die klinische Instruktorin Alice Kalale. Im Kabwe-Distriktspital hingegen würden viele Opfer von Verkehrsunfällen behandelt. «Und im Spital nahe dem Grenzfluss zu Mosambik in Katondwe gibt es manchmal sogar Bisswunden von Flusskrokodilen zu pflegen», erzählt sie.
Durch das dezentrale Ausbildungsmodell konnte aber nicht nur die klinische Breite und die Qualität der Ausbildung gesteigert werden. Auch die Anzahl der Absolventen:innen hat sich jedes Jahr vervielfacht, da nun mehrere Ausbildungsklassen parallel geführt werden können.
«Das zusammen mit SolidarMed erarbeitete Ausbildungsmodell ist zu einem Vorbild für andere Pflegefachschulen geworden», sagt Ordensschwester Valeria, die Vorsteherin der Pflegefachschule in St. Lukes. Nicht nur würden sie überschwemmt von Anmeldungen, sie können jetzt auch andere Pflegeschulen beraten und unterstützen. «Die Zusammenarbeit mit SolidarMed ist ein grosser Erfolg.»
Ausdehnung in alle Provinzen
Weitere drei Pflegefachschulen haben sich von SolidarMeds Ausbildungsmodell überzeugen lassen. Derzeit laufen zusammen mit dem Gesundheitsministerium die Vorbereitungen zur Ausdehnung dieses Ausbildungsmodells über alle Provinzen des Landes. In mindestens einer Pflegefachschule pro Provinz soll das dezentrale Ausbildungsmodell eingeführt werden. «Dadurch werden in Sambia künftig mehr und besser ausgebildete Pflegespezialist:innen im Gesundheitswesen arbeiten können», ist Beatrice Zulu, die dieses SolidarMed-Projekt leitet, überzeugt. Sie war früher selbst leitende Pflegefachfrau und bringt ihr Fachwissen und Beziehungsnetz in dieses Projekt ein.
«Das zusammen mit SolidarMed erarbeitete Ausbildungsmodell ist zu einem Vorbild für andere Pflegefachschulen geworden.»
Wer Sambia heute besucht, dem werden die extremen Unterschiede zwischen der modernen, rasch wachsenden Hauptstadt Lusaka und den ländlichen Gebieten auffallen. Hier moderne Infrastruktur, Häuser und Wohnungen, dort Menschen, die unter einfachsten Verhältnissen in Lehmhütten ohne Strom leben. Angemessener Wohnraum ist deshalb ein grosses Thema für Angestellte im Gesundheitswesen.
«Wohnmöglichkeiten in Spitalnähe ist für viele Gesundheitsfachleute wichtiger als ein gutes Salär», sagt Nzila Lubinda, Projektleiterin Housing bei SolidarMed in Lusaka. Angemessene Wohnmöglichkeiten mit fliessendem Wasser und Stromversorgung seien daher eine Voraussetzung, um gut ausgebildetes Personal auch in abgelegenen Spitälern zu beschäftigen. «Ohne Wohnmöglichkeiten finden wir kein Gesundheitspersonal, das über längere Zeit an einem abgelegenen Spital arbeiten will», sagt Lubinda.
SolidarMed hat deshalb über die letzten zehn Jahre Wohnungen, Häuser und Wohnheime gebaut, die Mitarbeitende bzw. Studierende von Spitälern und Gesundheitsinstitutionen beziehen können. Die Mieterträge finanzieren den Betrieb und Unterhalt der Liegenschaften. Die insgesamt etwa 110 Häuser gehen voraussichtlich nächstes Jahr in ein von SolidarMed unabhängiges Sozialunternehmen über.
«Mit unserer Expertise verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz», fasst Landeskoordinator John Tierney das Engagement von SolidarMed in Sambia zusammen. SolidarMed sei lokal sehr gut vernetzt, habe aber im Bereich der medizinischen Berufsbildung auch starke universitäre Partner in England und Deutschland. So könne das Team einen echten Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Land leisten. «Davon profitiert die schnell wachsende und oft sehr arme Bevölkerung Sambias.»